Schwedens Konservative auf der Erneuerungsschiene
Ein Vorbild für die ÖVP?
Erfolg weckt Neugier - bei anderen, weniger Glücklichen, wie etwa der ÖVP.
Nicht nur die österreichischen Konservativen blicken dieser Tage nach
Schweden. Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr erzielten die schwedischen
konservativen ,,Moderaterna“ ihr bestes Wahlresultat seit 1928. Der
Stimmenanteil wurde verdoppelt.
Der Weg dorthin begann mit einer katastrophalen Wahlschlappe, und führte zu
einer schmerzvollen Rundumerneuerung. Wer diesen Weg beschreiten will, muss
sich jedoch auf einiges gefasst machen. Der junge neue Parteichef Fredrik
Reinfeldt überraschte ein Jahr vor den Parlamentswahlen im Herbst 2006
Freund und Feind mit radikal klingenden Erneuerungsparolen. Bei
konservativen Stammwählern hatte er blankes Entsetzen ausgelöst. Hatten doch
bis dahin die „Moderaterna“ den verlässlichsten und lautesten Widerstand
gegen den starken schwedischen Fiskalstaat sozialdemokratischer Prägung
geleistet. Reinfeldt schockte die Parteilemuren, schwur den Parolen seiner
Vorgänger ab und bekannte sich öffentlich zum Wohlfahrtsstaat. Viele
Prinzipien der schwedischen Politik seien doch gut und richtig, sagte er.
Die Sozialdemokraten hätten das schwedische System zwar in grauer Vorzeit
erfunden, es damit aber nicht für alle Zeit für sich allein gepachtet.
Reinfeldt nahm den schwächsten Punkt in der Bilanz der regierenden
Sozialdemokraten ins Visier – die hohe Arbeitslosigkeit, die trotz
florierender Wirtschaft und ausgeglichenen Staatshaushalts nicht sank. Die
blassrote Arbeitsmarktpolitik mit künstlich geschaffenen Bereitschaftsjobs
und endlosen Ausbildungsprogrammen hätte sich als kontraproduktiv erwiesen,
so Reinfeldt. Damit zementiere man nur die Befindlichkeit vieler junger
Schweden außerhalb der regulären Arbeitsplätze. Wer Jobs schaffen wolle,
müsse Anreize für die Unternehmen schaffen. Und für den Einzelnen muss es
sich lohnen zu arbeiten. So machten sich die Moderaten zur neuen Partei der
Arbeit.
Die Urteilskraft des Sozialdemokraten Göran Persson versagte. Er wirkte
nicht beunruhigt. Die Jobs würden infolge der Konjunktur ja bald von selber
kommen. Wir sind frischer, moderner!, forderte Reinfeldt den Amtsinhaber
heraus. Unser Ziel ist es, den Wohlfahrtsstaat finanzierbar und lebensfähig
zu erhalten!, tönte er. Wir wissen, wie die Wirtschaft funktioniert!
Reinfeldt hatte eine Gruppe von Neudenkern um sich geschart, junge Manager
und Banker. Ihr Vorbild war Tony Blairs New Labour-Umrüstung, der sogenannte
Dritte Weg. Auch farblich wurde umgerüstet, von der Traditionsfarbe Blau auf
mutiges Orange. Der freche Auftritt der jungen Garde rund um Reinfeldt & Co
stand in scharfem Kontrast zu dem müden Eindruck, den der
veränderungsunwillige Amtsinhaber Persson bot. Die Optik stimmte. Wer sehen
wollte, der sah: Modernismus kontra Traditionalismus.
Mit den innovativen Äusserlichkeiten der Neuen Moderaten ging – wie
seinerzeit bei Blair – eine rasante inhaltliche Entrümpelung einher. Das
Wahlprogramm wurde ausgemistet. Der übliche Ruf nach mehr Geld für Militär
und Polizei, nach Steuersenkungen und unternehmerfreundlicheren
Steuergesetzen – all das flog aus dem Parteiprogramm. Auch der Traum der
Wirtschaftstreibenden von einer Schwächung der gewerkschaftlichen Rechte war
zu Ende.
Zum Rezept der schwedischen Moderaten gehören bittere Pillen für die eigene
Klientel – auch nach dem Einzug in die Regierungskanzlei wird nun weiter
entrümpelt: Senkung der Rüstungsausgaben. Extramilliarden für die Klimapolitik.
Und selbst ein Ja zur Homosexuellen-Ehe und zur Abschaffung der Wehrpflicht sind
keine Tabu-Themen mehr. Dass die Partei nicht mehr ist was sie war, mag
Alt-Konservative stören, macht sie aber für Mitte-Wähler annehmbar. Neue
Programmpunkte werden nicht länger an den eigenen Stammwählern auf die
Akzeptanz hin getestet, sondern beim Wählerpotential außerhalb der Partei.
Seinen kleinen Parteifunktionären draußen im Lande muss daher Reinfeldt
Erfolgsstolz und Selbstbewusstsein einreden. Er sagte: Wenn die Leute zu
Euch kommen und sagen, sie würden ihre alte Partei nicht mehr wieder
erkennen, dankt ihnen, und lasst sie von mir grüssen!
Wo ist unsere alte Partei geblieben? Stoppt denn keiner den Ausverkauf? Wie
so oft so machten erst die Umstände die drastische Verwandlungsnummer
möglich. Bei der Wahl 2002 hatten die Moderaten unter ihrem
farblos-traditionalistischen Parteichef Bo Lundgren mit 15% eine
fürchterliche Wahlschlappe einstecken müssen. Die überzeugendste Analyse
danach lieferte die junge Gruppe um Fredrik Reinfeldt. Solange die
„Moderaterna“ die Rolle als Partei der Reichen und Unternehmer nicht
abstreifen sind sie zu Wahlergebnissen um die zwanzig Prozent verdammt. Wer
die Mitte ansprechen will, der muss sich in die Mitte begeben.
Bedeutet also das Wahlresultat alles, der Inhalt nichts? Die größte Stärke
von Reinfeldt ist zweifellos sein strategisches Geschick. Im Jahr vor den
Wahlen 2006 bereits knüpfte er mit den drei anderen bürgerlichen Parteien
eine „Allianz“. Man diskutierte sich zu einem gemeinsamen Wahlprogramm
durch, das bis heute Grundlage der Regierungstagesordnung ist.
Profilierungsversuche einzelner Parteiführer oder Minister werden heute
dennoch geduldet, was Reinfeldt den Vorwurf schwacher Führung eingebracht
hat. Ins Auge fällt immerhin der Unterschied zum autoritären Amtsvorgänger
Persson. Vielleicht ist Reinfeldt ja auch nur ein modernerer Chefstyp, der
den Mitstreitern genügend Spielraum lassen will.
Innerparteilich jedenfalls nutzt Reinfeldt jede sich bietende Lücke zur
Erweiterung seiner Dominanz, und wird bei den Parteimitgliedern immer
beliebter. Vor zwei Wochen erst trat Verteidigungsminister und
Krawattenträger Mikael Odenberg aus Protest von seinem Amt zurück. Der
Reinfeld-Intimus und Finanzminister Anders Borg – ein junger Mann mit
Pferdeschwanz, T-Shirt und Ohrring – hatte ohne Rücksprache mit ihm eine
Kürzung der Militärausgaben um vier Milliarden Kronen angekündigt. Premier
Reinfeldt hielt keine langen Grabreden sondern präsentierte umgehend den
Nachfolger. Ein ehemaliger Waffendienstverweigerer und Zivildiener ist jetzt
in Schweden Verteidigungsminister.
Nachmachen? Wer traut sich?