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Mit Krisengeschrei eingedeckt

Licht- und Schattenseiten in Reykjavik

 

mat. Stockholm, 9. April

 

Seit Fitch im Februar warnte, Island riskiere wegen makroökonomischer Schräglage eine Senkung des Kreditratings, steht das kleine Land unter verschärfter internationaler Beobachtung, und der Wert der isländischen Krone sank seither gegenüber dem Euro um rund 13 %. Dazu fiel der Reykjaviker Börsenindex ICEX 15 seit Mitte Februar um 14%. Merryll Lynch streute noch dazu  Salz in dieWunde und warnte Anleger vor den isländischen Banken. Die drei grössten davon,  Kaupthing, Glitnir (früher: Islandsbanki) und Landsbanki, haben zusammengerechnet in den letzten Jahren rund 47 Mrd. Dollar auf den internationalen Finanzmärkten aufgenommen, und damit eine Welle von Nordeuropa-Akquisitionen finanziert. Führend in der Käuferliga ist Kaupthing mit Übernahmen von unter anderem der dänischen Bank FHI, des britischen Finanzhauses Singer & Friedlander, der finnischen Investmentgesellschaft Norvestia sowie einer Reihe schwedischer Fondsakteure. Laut Merryl Lynch haben die zur Finanzierung dieser Geschäfte aufgenommenen Kredite zu einem beträchtlichen Teil kurze Laufzeiten, wovon demnach im nächsten Jahr zirka 18 Mrd. Dollar für die Banken an Rückzahlungen fällig würden, was dem 1,3Fachen des gesamten isländischen BNP entspräche. Einen warnenden Finger erhob die US-Investmentbank auch wegen der starken finanziellen Verknüpfung zwischen isländischen Unternehmen und diesen Banken, die oftmals gleichzeitig als Aktionäre und Kreditgeber untereinander verwoben seien.. Noch drastischer fiel die Beurteilung der dänischen Danske Bank aus, die der isländischen Wirtschaft zum kommenden Jahreswechsel eine Rezession voraussagte, mit einem in den kommenden Jahren um 5-10 % sinkenden BNP und Inflationsraten von bis zu 10 %. Als Argumente für ihre Krisendrohung führte die Danske Bank das 20 % des BNP betragende Defizit im Staatshaushalt sowie die Tatsache an, dass auch ständige Leitzinserhöhungen der Zentralbank nicht imstande seien, die ausufernde, kreditfinanzierte Kauflust der Isländer in geordnete Bahnen zu lenken. Die Dänen gingen dabei sogar soweit, die isländische Situation mit den Krisen Thailands 1997 und der Türkei 2001 auf eine Stufe zu stellen. Aber auch nüchterere Analysen deuten auf ein makroökonomisches Ungleichgewicht hin. So musste die isländische Zentralbank konstatieren, dass sich 2005 das Zahlungsbilanzdefizit auf 164 Mrd. Isländische Kronen verdoppelt hat.

 

Aggressive Akteure am Finanzsektor

 

All den vorgelegten Ziffern mangelt es nicht ans Aussagekraft. Zugleich ist zu bedenken, dass Island in den internationalen Analysen der Vergangenheit kaum je eine Rolle gespielt hat und eher als Terra incognita gilt. Eher wenig beachtet, hat die isländische Wirtschaft  binnen eineinhalb Jahrzehnten eine rasante Verwandlung von einer stark staatlich regulierten ,,Planwirtschaft” zu einer der am raschesten expandierenden Volkswirtschaften Europas durchgemacht. Bis 1990 hatte sich das Wirtschaftleben fast ausschliesslich um die einheimischen Naturressourcen Fischerei und Energie gedreht, wobei der Staat praktisch allein über wesentliche Investitionen entschied. Die meisten Banken waren in Staatseigentum oder staatlich kontrolliert, und Island lebte mit staatlich gesteuerten Zinsen und einer Hyperinflation, die z.B, 1983 fast bei 100 % lag. Die staatliche Kontrolle über Währung und Zinsen machte Auslandsinvestitionen nahezu unmöglich und bot auch wenig Anreize für ausländische Investoren.  Erst Mitte der 80er Jahre wurden die Zinsen dereguliert, und als 1990 eine der staatlichen Banken am Rande des Bankrotts stand, taten sich drei kleinere Privatbanken zusammen, kauften die marode Bank und schufen den ersten richtiggehend marktorientierten, agressiven Akteur auf dem Finanzsektor. Eine Aktienbörse entstand 1990, die zwei Jahre später elf Werte notierte, und an der heute – nach einer Periode lebhafter Umstrukturierungen und Fusionen- 33 Unternehmen notiert werden. Mit der Mitgliedschaft 1993 im EWR kam es zur endgültigen Öffnung. Die isländische Krone wurde konvertibel, die Wettbewerbsregeln passten sich europäischen Standards an. Der Bankensektor wurde weiter liberalisiert, wobei aus der Privatisierung zweier staatlicher Banken Ende der 90er Jahre die heutigen Akteure Landsbanki und Kaupthing entstanden.

 

Hoher Leitzins zog Spekulanten an

 

Diese robusten Veränderungen der Voraussetzungen wirkten als Wachstumsschub. Seit 1995 lag –mit Ausnahme von 2001-2002- das jährliche Wirtschaftswachstum über oder um die 5 %. Die niedrige Zinsenlage in Europa erleichterte zudem die Finanzierung unzähliger neuer Unternehmen, und die kühle Insel wird von einem heissen Innovationsklima dominiert. Eine –im europäischen Vergleich- junge, gut ausgebildete Bevölkerung, deren Pro Kopf-Arbeitsstunden im OECD-Raum an der Spitze liegen, sowie eine niedrige Arbeitslosenrate sind zukunfsträchtige Pluspunkte. Das hohe Investitionsniveau schlägt sich in einer positiven Produktivitätsbilanz nieder, 2004 stieg die Produktion je geleistete Arbeitsstunde um 6,6%. Das Pensionssystem, das abgabenfinanziert ist, und in das jeder Isländer 10 % seines Lohnes abliefert, ist ein beruhigender Faktor am Finanzsektor. Zudem dürfen Arbeitnehmer und –geber jeweils weitere 4 % in persönliche Pensionsfonds absetzen, sodass die viele Isländer ganze 18 % ihres Einkommens für die Altervorsorge zurücklegen. Auf der Minusseite steht die vor allem durch immens steigende Immobilienpreise in der Hauptstadt Reykjavik angeheizte Inflation, der die Zentralbank Sedlabanki bislang ohne grössere Erfolge durch Erhöhungen des Leitzinssatzes, der gegenwärtig bei 11,5 % liegt, entgegenzuwirken versucht. Hingegen hat dadurch die isländische Krone, deren Kurs im vorigen Jahr kräftig stieg, ausländische Spekulanten um sich geschart. Der jetzige Fall des Wechselkurses um 15 % seit dem Jahreswechsel hat die Krone jetzt wieder auf das Niveau vom Herbst 2004 zurückgestutzt.

 

Bankaktien zurückgefallen

 

Die isländischen Bankaktien sind nach den internationalen Krisenschlagzeilen kräftig gefallen. In Reykjavik büsste beispielsweise die Kaupthing-Aktie seit Mitte Februar rund 25 % ein. Andererseits ist man damit bloss auf jenes Niveau zurückgefallen auf dem man zum Jahreswechsel lag. Und verglichen mit Januar 2005 beträgt der Wertzuwachs der Kaupthing-Aktie auch jetzt immer noch 72 %. Die Zukunft für Island mag nicht ganz so schwarz aussehen wie es die Auguren der Danske Bank prophezeihen. Es gibt auch Gegenstimmen. Mitte der vergangenen Woche legten die Analytiker von Moody’s eine ganz andere Beurteilung vor. Demnach bestehe kein grösseres Risiko in punkto Solidität und Liquidität. Island sei ein gesundes Land, das sich mitten in einem grossen Umstellungsprozess befinde.. Die Unruhe der letzten Wochen sei übertrieben.  Moody’s gab Island erneut die Bewertung Aaa. Dennoch dürfte die starke Wachstumsperiode der isländischen Wirtschaft vorerst unterbrochen sein. Schon dies dürfte auf einigen anderen Finanzplätzen, auf denen die isländischen Banken in letzter Zeit mit ihren Akquisitionsfeldzügen für Unruhe gesorgt hatten, mit einiger Schadenfreude begrüsst werden.