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Steuern senken oder stärker kontrollieren?

Reichstagswahlkampf in Schweden

 

mat. Stockholm, 14.Juni

 

In drei Monaten, am 17.September, sind in Schweden Parlamentswahlen. Die regierenden Sozialdemokraten unter Premier Persson haben sich kaum erneuert und setzen auf traditionelle wohlfahrtsstaatliche Werte. Die bürgerlichen Oppositionsparteien können erstmals mit einer glaubwürdigen Allianz und gemeinsamen Programmen antreten. In den Umfragen liegen die Blöcke gleichauf.

 

Regelmässig erstellt eine schwedische Grossbank Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung im Lande. Die Bankkonomen, darunter der ehemalige engste Mitarbeiter eines sozialdemokratischen Finanzministers, gehen für die Reichstagswahlen im Herbst von einem Wahlsieg der oppositionellen bürgerlichen ,,Allianz" aus Konservativen, Liberalen, Zentrumspartei und Christdemokraten aus. Um aber auf Nummer sicher zu gehen haben sie auch eine Wirtschaftsprognose ausgearbeitet für den Fall, dass die linke Reichshälfte mit Premier Persson an der Spitze ihre Mehrheit behält. Legt man beide Varianten nebeneinander, dann zeigt sich, dass es zwar Unterschiede gibt, aber für die Wirtschaft ist es fast einerlei, welcher Block nach dem 17.September regieren wird.

 

Arbeitslosigkeit als wichtigste Frage

Eindeutig die wichtigste Wahlfrage ist in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit. Gewinnen die Bürgerlichen, würde nach Ansicht der Bank die offene Arbeitslosigkeit leicht steigen. Die Allianz will nämlich die Arbeitgebersteuern bei Neuanstellungen deutlich senken. Das schüfe einerseits zwar mehr Jobs. Doch die wachsende Nachfrage würde zu mehr Optimismus auch bei jenen führen, die wegen langer Arbeitslosigkeit längst im Sozialhilfebereich abgeladen worden sind. Zumindest in der Anfangsphase würden sich deshalb die Warteschlangen vor den Arbeitsämtern verlängern. Die regierenden Sozialdemokraten hingegen wollen zusätzliche Steuermilliarden in die Schaffung künstlicher Jobs im Öffentlichen Sektor pumpen. Würde man die Arbeitslosen selbst fragen, dann haben für jene, die auf einen echten, produktiven Job hoffen, die artifiziellen Bereitschaftsjobs und Ausbildungsprogramme der Regierung längst ausgedient. Fraglich ist aber, ob deren Stimme ausschlaggebend sein kann, oder ob die Mehrheit der Bürger nicht doch ein weiteres Mal den patentierten Systemlösungen der altgedienten Regierungspartei vertraut. Bisher ist es schliesslich auch gegangen.

 

Auch der Vorschlag der Allianz, die Steuern für "haushaltsnahe Dienstleistungen", sprich: eine Putzfrau, zu senken, löst bei manchen Schweden ideologisch gefärbte Allergiereaktionen aus. Dabei will niemand das Dienstmägde-System wieder einführen, wie die Sozialdemokraten dies behaupten. In der Mehrheit der schwedischen Familien sind seit langem beide Eltern ganzzeitig berufstätig und damit voll ausgelastet. Dienstleistungen, darunter nicht zuletzt auch die Hilfe von Handwerkern, sind heute für Normalverdiener unerschwinglich wenn sie regelgerecht versteuert werden sollen. Daher blüht der schwarze Arbeitsmarkt weil dort so manche Dienstleistung zum halben Preis erhältlich ist.

 

Regierungspartei für mehr Steuerfahndung

An der hausgemachten schwedischen Wohlfahrtspolitik will die Regierungspartei nicht rütteln. Sie will das Arbeitslosengeld erhöhen. Um dem -offenbar verbreiteten- Missbrauch der grosszügigen Beitragssysteme entgegenzuwirken sollen 800 neue Kontrolleure angestellt werden. Die Allianz möchte dagegen Kranken- und Arbeitslosen- und Frühpensionsgelder senken, und die Anzahl der Karenztage im Krankheitsfall erhöhen, sowie das staatliche Apothekenmonopol abschaffen.

 

Die hohen Steuern sind nicht mehr das grosse Thema vergangener Jahre, vor allem nachdem der jugendlichen Parteichef der Konservativen, Fredrik Reinfeldt, seine Partei stärker in die politische Mitte gerückt hat. Immerhin hat sich die Allianz auf eine schrittweise Senkung der Einkommenssteuer geeinigt, die so ausgelegt ist, dass jene mit niedrigen Löhnen prozentuell am meisten profitieren. Ein heikles Thema ist auch die Immobiliensteuer, die jährlich allen Besitzern von Eigenheimen und Freizeithäuschen abverlangt wird, und die an einen Index gebunden ist, der laufend an die immens steigenden Immobilienpreise angepasst wird. In extremen Fällen können einkommensschwache ältere Menschen, die ihr Leben lang im gleichen Haus gewohnt haben, plötzlich gezwungen sein ihr Heim zu verkaufen, weil sie sich die von Jahr zu Jahr gestiegene Immobiliensteuer nicht länger leisten konnten. Die Allianz will hier mehr Gerechtigkeit schaffen, wobei die Christdemokraten diese Steuer ganz abschaffen wollen, was ihnen Stimmen aus allen Lagern bringen dürfte. Die Sozialdemokraten widersetzen sich weiterhin Steuersenkungen. Sie wollen stattdessen im Finanzamt 420 zusätzliche Posten für Steuerkontrolleure einrichten, die verstärkt gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit zu Felde ziehen sollen.

 

Gute Wirtschaftsdaten

Grosse politische Auseinandersetzungen fehlen im diesjährigen Wahlkampf, sodass die steigende Zahl der Unsicheren und Wechselwähler sich mehr denn je die Frage stellen wird, welchem der politischen Blöcke man mehr zutraut. Die Sozialdemokraten sind in Schweden mit Ausnahme zweier kurzer Intermezzi, 1976-82 sowie 1991-94, seit Anfang der 1930er Jahre ununterbrochen an der Macht gewesen. Premier Persson kann jetzt noch dazu gute Wirtschaftsdaten vorweisen. Punkto Wirtschaftswachstum liegt das Land im europäischen Spitzenfeld, und die Staatsfinanzen wurden nach der tiefen Krise Anfang der 90er Jahre gründlich saniert, wobei eine Reihe steuerfinanzierter Bonbons schrittweise aus dem Sortiment genommen wurden, sodass Schweden heute in Bezug auf wohlfahrtstaatliche Einrichtungen nur noch europäischer Durchschnitt ist. Persson ist trotz seines Sanierungskurses das Kunststück gelungen, sich für seine Minderheitsregierung die parlamentarische Unterstützung der Grünen sowie der postkommunistischen Linkspartei zu erhalten.

 

Führungstauglichkeit in Frage gestellt

Das Vertrauen in die Führungstauglichkeit der Regierung erhielt allerdings mit der amateurhaften Handhabung der fernöstlichen Tsunamikatastrophe und deren Folgen für betroffene schwedische Bürger einen schweren Knacks. Sowohl die von Persson selbst eingesetzte Katastrophenkommission wie auch ein einiges Parlament kritisierten die Regierung dafür scharf. Dazu kamen während der letzten Monate mehrere kleinere Skandale ans Licht, die das Bild von Eigennutz und Arroganz in den Reihen jener, die so lange an den Machthebeln sitzen, noch verstärkten.

 

Die bürgerlichen Parteien haben seit 2004 ihre Allianz mit gemeinsamen Zielsetzungen punkto Steuern, Unternehmenspolitik und die sozialen Systeme der Wohlfahrt laufend verstärkt um dem Eindruck der Zersplitterung entgegenzuwirken. Im Wahlkampf, der noch nicht so richtig angelaufen ist, betont zwar jede der vier Parteien verschiedene Schwerpunkte, und man ist in einer Reihe von Fragen, z.B in der Familienpolitik und der Zukunft der Kernenergie, uneins. Man hat sich aber darauf geeinigt, dass es innerhalb der Parteienallianz keine ultimativen Forderungen mehr geben werde. Solche waren das Dilemma früherer bürgerlicher Koalitionssregierungen. Ein Faktum, das die Regierungspartei im Wahlkampf weidlich auszunutzen gedenkt. In den Umfragen lag die bürgerliche Allianz bis vor kurzem noch deutlich vorne. Die Linke hat aber in den letzten Wochen gleichgezogen, wenngleich Ministerpräsident Persson als Person in Sympathiepolls weit hinter den konservativen Oppositionsführer Reinfeldt zurückgefallen ist. Die altväterische Art, mit der Persson lange Zeit hindurch erfolgreich auf ein Landesvater-Image hinarbeitete, hat sich inzwischen verbraucht, und wird heute von vielen als Überheblichkeit gedeutet.