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Nach KKW-Zwischenfall in Schweden

Atomkraft wieder Wahlkampfthema

 

In Schweden suchen Experten weiterhin nach der Ursache des Reaktortopps in Forsmark. Die Politiker versuchen zugleich, sechs Wochen vor den Reichstagswahlen, aus dem Thema Kernkraftsicherheit Kapital zu schlagen. Die Atomkraftnutzung, die beide politischen Blöcke bereits als Wahlkampfthema abgeschrieben hatten, könnte nun doch das Wahlresultat am 17.September beeinflussen.

 

mat. Stockholm, 6.August

 

Der vor allem in ausländischen Medien zum Fast-Supergau hochstilisierte Zwischenfall wurde vom schwedischen Amt für Kernkraftsicherheit SKI, als "ernsthaft" und vorläufig als Ereignis der Klasse 2 auf der siebenstelligen internationalen INES-Skala eingestuft. Die Ursache für den automatischen Reaktorstopp war kein Fehler im Reaktor, sondern ein Kurzschluss in einer Umspannanlage. Das automatische Sicherheitssystem reagierte ordnungsgemäss darauf und unterbrach den Kernspaltungsprozess im Reaktor. Zwei der vier Dieselmotoren, die in diesem Moment die Notstromversorgung hätten übernehmen sollen, sprangen aber nicht automatisch an. Laut einem vorläufigen Bericht von SKI fielen Computer im Kontrollzentrum des Kraftwerks, die Lautsprecheranlage sowie eine Reihe weiterer Kontrollinstrumente aus. Dem Personal fehlte damit der Überblick. Erst nach chaotischen 23 Minuten startete man die beiden Diesel manuell, worauf sich die Lage rasch stabilisierte.

 

Kein Gau-Risiko

Da drei weitere KKW, der zweite Reaktor in Forsmark sowie zwei Reaktoren in Oskarshamn, die gleiche Notstromanordnung aufweisen wurden auch diese gestoppt. Zusammen mit einem der Reaktoren in Ringhals, der gegenwärtig der alljährlichen Wartung unterzogen wird, stehen

damit die Hälfte der zehn schwedischen KKW still. Eine Startgenehmigung könne erst nach eingehender Untersuchung des Forsmark-Zwischenfalls sowie notwendigen Umbauten erteilt werden, gab SKI bekannt. Fehler im Sicherheitssystem müssten immer als ernsthaft   klassifizieret werden. Ein Gau-Risiko habe aber im konkreten Fall absolut nicht vorgelegen.

 

Bei der Ursachenuntersuchung hatte man sich zunächst auf die UPS (=Uninterrupted Power Supply)-Boxen konzentriert, welche bei Stromausfall den Kontrollraum des KKW für kurze Zeit mit Strom versorgen und zugleich die Notstromdiesel automatisch starten sollten. Man vermutet, dass der Fehler in einer falschen Einstellung der Notstromgeneratoren gelegen haben könnte. Wenig beruhigend klingt hierzu eine Stellungnahme der UPS-Herstellerfirma AEG auf deren Website. Die betreffende Ausrüstung sei bereits vor 13 Jahren geliefert worden, und bedürfe regelmässiger Wartung und Funktionstests. Man habe aber vom Forsmark-Werk keinerlei Anfragen für derartige Dienstleistungen erhalten.

 

Politischer Profit

Mit dem Zwischenfall in Forsmark hat das bereits tot geglaubte Thema Kernkraft erneut Einzug in die Parteipolitik gehalten. Der Chef der postkommunistische Linkspartei, Lars Ohly, forderte die Schliessung eines weiteren KKW in der kommenden Mandatperiode nach der Wahl im September. Die grüne Umweltpartei schloss sich der Forderung rasch an. Die beiden Parteien, auf deren parlamentarische Unterstützung die sozialdemokratische Minderheitsregierung angewiesen ist, bringen damit Ministerpräsident Persson in Bedrängnis. Die Regierung schloss vor einem Jahr das KKW Barsebäck 2, und hält sich in der Kernkraftfrage seither bedeckt, auch wenn offiziell der schrittweise Ausstieg aus der Atomenergie im Programm steht. Denn der Industriegewerkschaftsbund LO, deren Mitglieder weitgehend in energieintensiven Branchen beschäftigt sind, wehrt sich gegen die Schliessung weiterer Reaktoren. Damit bietet man der bürgerlichen Opposition eine neue Angriffsfläche. Die "Allianz" aus Konservativen, Liberalen, Christdemokraten und Zentrumspartei will jetzt von Persson wissen, wie er sich zur Forderung seiner beiden Stützparteien stellt.

 

Damit hat die Opposition den Spiess praktisch umgedreht, deren grösstes Manko bis vor ein paar Monaten noch selbst ihre Uneinigkeit in der Frage der KKW gewesen war. Seit den 70er-Jahren bildete ja die Zentrumspartei die Speerspitze des Atomkraft-Widerstandes in Schweden, während die anderen bürgerlichen Parteien für eine weitere Nutzung eintreten. Im Juni fügte sich jedoch die Zentrumspartei unter ihrer quirligen Parteichefin Maud Olofsson um der Einigkeit willen einem Kompromiss. Keine weiteren KKW, aber auch keine weiteren Schliessungen in der bevorstehenden Mandatperiode. Damit zerbrach die uralte Übereinkunft über den schrittweisen Kernkraft-Ausstieg, die seit 1977 zwischen Zentrum und Sozialdemokraten bestanden hatte, und Premier Persson steht in der Frage nun ohne Partner da.

 

Wer vom Forsmark-Zwischenfall in der Wählermeinung profitieren kann wird sich aber erst zeigen, wenn völlige Klarheit über die Tragweite geschaffen ist. Falls man tatsächlich nahe an einer Gau-Situation gewesen ist hätte der Premier die Chance, sich noch staatsmännisch mit den Parteien zur Linken auf einen neuen Abwicklungzeitplan zu einigen. Wird der Vorfall hingegen weiterhin als ernsthaft aber harmlos eingestuft, dann profitiert die bürgerliche Allianz, die momentan in den Umfragen vor der Regierung samt deren Stützparteien liegt.